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AZ Gastbeitrag von Benjamin Idriz: „Der Islam ist eine Friedensreligion“

21. Dez 2020 | Allgemein

Gastbeitrag von Benjamin Idriz in der Münchener Abendzeitung

Foto: abendzeitung-muenchen.de | © Peter Kneffel/dpa

Im Rahmen der AZ-Serie „Wie Frieden wahren?“ schreibt Benjamin Idriz, der Imam von Penzberg über die Bedeutung des Friedens im islamischen Gebet und im Koran.

Sich mit einer Religion zu identifizieren, in meinem Fall mit dem Islam, bedeutet nicht nur an Gott zu glauben, sondern auch Verantwortung zu tragen. Religion macht den Menschen verantwortlich – verantwortlich für den Frieden. Der Islam bedeutet unter anderem wörtlich „Friede“. Der Begriff des Friedens im Islam wird als wichtigster Antrieb der gesamten Weltanschauung eines Muslims verstanden. Er sollte den Wunsch nach Frieden in all seinen Aktivitäten ausdrücken.

Friedenswunsch nach dem Gebet
Dafür dient auch seine religiöse Praxis, die eigentlich vor allem eine persönliche Dimension hat. Doch beim Thema Frieden hat sie eben auch gesellschaftliche Relevanz. Wenn die Gebetszeit kommt, lassen die praktizierenden Gläubigen ihre weltlichen Aufgaben und die Kommunikation beiseite und widmen einige Minuten dem Gebet, dem Gespräch mit Gott. Jedes tägliche Gebet beginnt mit „Allahu Akbar“ – „Gott ist größer“ – und dies wird bei jeder Bewegung wiederholt. Doch das Gebet endet dann nicht mit diesem Satz, sondern mit: „As-salam alaikum wa rahmatullah“: „Der Friede sei mit euch und die Gnade Gottes.“

Der Betende dreht sein Gesicht zur rechten und zur linken Seite und spricht diesen Friedenswunsch aus. Danach folgt das Bittgebet, welches der Prophet anempfohlen hat: „Oh Gott! Du bist der Friede. Von Dir kommt der Friede. Segne uns mit dem Frieden.“ Mit diesem Bittgebet nimmt der Betende Abschied von seinem Gebet, und das Leben mit den Mitmenschen geht weiter – also im Geiste des Friedens.

„Allahu Akbar“ ist keine Parole, keine Kampfansage
Dieses fünfmalige tägliche Ritual soll eine Botschaft vermitteln: Während des Gebets warst du im Frieden mit den Mitmenschen. Du sollst nach dem Gebet zu allen Menschen auf der Welt, ob sie sich auf deiner rechten oder auf deiner linken Seite befinden, friedlich bleiben, bis zum nächsten Gebet. Da du mit dem salam allen Menschen Frieden zugesagt hast, sollst du deinem Versprechen bis zum nächsten Gebet treu bleiben. Gott will durch das Gebet den Menschen lehren, sich anderen Geschöpfen gegenüber friedlich zu verhalten. Deshalb endet das Gebet mit den Worten: „as-salamu alaykum – der Friede sei mit euch“, und nicht mit: „Allahu Akbar – Gott ist größer“. Letzteres auszusprechen ist eine Form des Gottesdienstes, durch die ein Muslim die absolute Macht Gottes anerkennt und somit Demut statt Arroganz demonstriert.

„Allahu Akbar“ ist eben keine Parole, keine Kampfansage, kein Schlag-Wort, sondern eine gottesdienstliche Handlung, die der Mensch allein in rituellen Gebeten und Bittgebeten ausspricht. „Gott ist größer“ bedeutet, dass er größer ist als unser Ego und größer als alles, was wir uns vorstellen können.

Es gibt allerdings Menschen, die zu Konfrontation und Aggression neigen, bis hin zu Terror und Mord, und dabei „Allahu Akbar“ ausrufen, und damit vorgeben, im Namen des Islam und der Muslime zu handeln. Das ist der größte Missbrauch Gottes und somit auch die größte Sünde! Es ist ein Zeichen, dass der Glaube tot und das Gebetsritual bedeutungslos ist, sinnlos, und von ethischen Werten weit entfernt.

Im Koran ruft dazu auf, kollektiv in den Frieden einzutreten
Das Gebet ist nicht nur eine Pflicht Gott gegenüber, ein Ritual, das vom Himmel geboten wurde, sondern eine Praxis, die beabsichtigt, Menschen zu erziehen, in Frieden mit Gott, mit sich selbst und mit allen Menschen zu leben. Durch das Gebet wollte Gott den Frieden zwischen den Erdbewohnern und nicht seinen eigenen Frieden sichern, was er nicht nötig hat, weil er selbst „as-Salam“, der absolute Friede ist.

In Zeiten von Angst, Herausforderungen und Gewalt ermahnt uns der Koran zu Geduld und Zurückhaltung (2:177). Gleichzeitig erinnert er uns daran: Wer einen Menschen tötet, tötet gleichsam die ganze Menschheit (5:32). Deswegen ruft Gott uns auf, kollektiv in den Frieden einzutreten (2:208), weil der Friede heilig und der Krieg zu verabscheuen ist, und weil der Friede die Grundlage aller Dinge ist. Indem der Koran an 36 Stellen den Begriff „Salam (Friede)“ wiederholt, ermahnt er die Menschen zum Frieden und zeigt damit auch, dass der Islam alternativlos für den Frieden einsteht.

Begriff „birr“ beinhaltet alles was mit dem Guten zusammenhängt
Dem Frieden gilt der gemeinsame Ruf aller Religionen. Als eine Konsequenz aus dem Friedens-Gebot müssen alle Menschen lautstark ihre Parteinahme für den Frieden entschieden und unmissverständlich, überall und unablässig kundtun und gegen all diejenigen laut protestieren, die das friedliche Zusammenleben in Gefahr bringen. Niemals zuvor war es so wichtig für uns alle, uns bewusst zu werden, dass gegenseitiges Verständnis und Friede die Grundbedingungen für unsere Koexistenz und unseren Fortschritt sind.

Gott verlangt von den Muslimen, sich im Verhältnis zu den anderen nach den Maßstäben der Güte (birr) und der Gerechtigkeit (qist) zu richten: „Was solche angeht, die nicht wegen (eures) Glaubens gegen euch kämpfen und euch auch nicht aus euren Heimstätten vertreiben, Gott verbietet euch nicht, ihnen Güte (birr) zu erweisen und euch ihnen gegenüber völlig gerecht (qist) zu verhalten: denn, wahrlich, Gott liebt jene, die gerecht handeln.“ (60:8).

Deutschland ist ein Land, das Vertriebenen eine Heimat und Sicherheit gewährt hat. Muslime in Deutschland sind der Willkommenskultur der Bevölkerung mit Achtung entgegengekommen. Der Begriff birr in diesem Vers beschreibt das Maß der Beziehungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen und beinhaltet alles, was mit dem Guten zusammenhängt.

Mit Toleranz auf Leute zugehen
Der Koran verlangt von uns, uns auch gegenüber unseren Eltern mit birr zu verhalten, sie sind diejenigen, die nach Gott die höchsten Ansprüche auf uns haben. Damit will Gott den Muslimen sagen: So wie ihr das schönste Verhalten zu euren Eltern an den Tag legt, so müsst ihr auch denen das gleiche Verhalten entgegenbringen, die in Frieden mit euch zusammenleben. Das ist möglich, wenn wir den Menschen, die eine andere Religion, Weltanschauung, Ethnie und Geschlecht haben, mit Toleranz begegnen. Denn die Intoleranz nährt in einer Gesellschaft Hass und Feindschaft und führt zu Konflikten. Der Tolerante hat nichts zu verlieren. Wer verliert, ist der Intolerante.

Ein Muslim geht zuerst mit Toleranz auf die anderen zu, bevor er Toleranz von ihnen erwartet. Die Toleranz ist eine schöne Tugend und erfordert Mut und Weitsicht. Wenn es an Toleranz zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft mangelt, dann ist das auch ein Zeichen dafür, dass es dort eigentlich an Werten und Nächstenliebe mangelt. Die Nächstenliebe steht eine Stufe höher als Toleranz, und die Liebe wiederum erfordert, dass das Herz von Vorurteilen und Hass befreit werden soll. Nur so ist es möglich, Frieden zu bewahren.

Frieden ist kein Geschenk, sondern eine Aufgabe
Bevor der Prophet des Islam, Muhammed, von dieser Welt Abschied genommen hat, hielt er eine Abschiedsrede und wandte sich an die ganze Weltgemeinschaft: „Ihr dürft nach meinem Tod einander nicht bekämpfen, kein Blut vergießen, nicht in Extreme verfallen, keine Geheimniskrämerei betreiben, nicht neidisch aufeinander sein, sondern sollt Liebe, Frieden und gegenseitige Achtung verbreiten. O Menschen (Muslime und Nichtmuslime), seid Geschwister!“.

Das größte Bedürfnis und zugleich die schwierigste Aufgabe unseres Zeitalters ist, in die Köpfe die Idee einzupflanzen, andere Menschen als Schwestern und Brüder in der Menschheit wahrzunehmen. Dafür konsequent zu arbeiten, sind wir verpflichtet. Frieden ist kein Geschenk, sondern eine Aufgabe. Manchmal sind kleine Gesten wichtige Meilensteine auf dem Weg zum Frieden. Fangen wir mit der Verbreitung des Friedens in Form von guten Wünschen an und sagen „Frohe Weihnachten!“ zu unseren nichtmuslimischen Nachbarn, Freunden und Kollegen. Und dann beglückwünschen sie uns, wenn unsere Fastenzeit, der Ramadan, kommt.

Somit setzen wir den Ratschlag unseres Propheten Muhammed um, der uns einen Tipp gegeben hat, wie wir Frieden wahren: „Ihr werdet nicht gläubig, bis ihr euch gegenseitig geachtet und geliebt habt. Soll ich euch zeigen, wie ihr euch lieben und achten werdet? Verbreitet den Frieden(sgruß) unter euch!“

Der Verfasser ist Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen: „Der Koran und die Frauen: Ein Imam erklärt vergessene Seiten des Islam“, (Gütersloher Verlagshaus, 192 Seiten, 18 Euro)

Quelle: Abendzeitung München