Interreligiöser Dialog
MFI Blog
Der schwierige Weg der Versöhnung auf dem Westbalkan – Ein Reisebericht
Von Dr. Andreas Renz, Erzbischöfliches Ordinariat München und Freising, Fachbereichsleiter Dialog der Religionen
Der Balkan ist seit langem ein Minenfeld, was das Zusammenleben von Nationen, Konfessionen und Religionen anbelangt. Der Rat der Religionen München unternahm im September 2022 eine Begegnungsreise nach Bosnien und Herzegowina, die der Penzberger Imam Dr. Benjamin Idriz mit großem Engagement organisierte und führte.
Vor 30 Jahren begann dort ein furchtbarer Bürgerkrieg, der mit einem Völkermord an bosnischen Muslimen endete. Orthodoxe Serben, katholische Kroaten, bosnische Muslime, die vorher alle friedlich zusammenlebten und untereinander heirateten (jede dritte Ehe und Familie), standen sich plötzlich in Hass und erbitterter Feindschaft gegenüber und die Weltgemeinschaft schaute tatenlos zu und machte verheerende Fehler. Das Friedensabkommen von Dayton 1995 sollte Frieden bringen, doch es schuf einen bis heute nicht funktionierenden Staat Bosnien und Herzegowina mit der autonomen (serbischen) „Republik Srpska“, die sich im Sommer eigentlich endgültig abspalten wollte. Dies aber hätte wohl zu erneuten ethnischen Säuberungen und zu einem Bürgerkrieg geführt.
Welche Rolle spielen die Religionen bei dem Konflikt? Darum ging es vor allem bei den Gesprächen der Münchner Delegation, der Vertreter der katholischen (Weihbischof Graf zu Stolberg, Dr. Andreas Renz) und evangelischen Kirche, des Muslimrates München, der liberalen jüdischen Gemeinde, der Bahai-Gemeinde und der buddhistischen Gemeinden angehörten.
Übereinstimmend berichteten die Religionsvertreter von Sarajevo, dass es auf der religiösen Ebene eine gute Zusammenarbeit gebe. Der katholische Bischof, der Präsident der jüdischen Gemeinschaft wie auch der Großmufti betonten, wie sehr in den letzten zwei Jahrzehnten durch den Interreligiösen Rat das Vertrauen zwischen den Religionsgemeinschaften gewachsen sei, was sich etwa daran zeige, dass Spenden der muslimischen Bevölkerung für die Opfer des Krieges in der Ukraine der Caritas zur Überbringung in die Ukraine übergeben wurden. Auch beim Wiederaufbau von Kirchen und Moscheen gab und gibt es religionsübergreifende Solidarität: Muslim:innen spendeten für den Kirchenbau, Christ:innen für den Bau von Moscheen – in Deutschland wohl undenkbar. Auch die Renovierung des jüdischen Zentrums in Sarajevo wurde mit Hilfe muslimischer Spenden bewältigt. Der Wille zur Versöhnung und Zusammenarbeit auf dieser Ebene ist also groß. Doch das ist nicht überall im Lande so: Während in Mostar, jenem symbolträchtigen Ort mit der wiederaufgebauten Brücke, ein Dialog zwischen den serbisch-orthodoxen und den muslimischen Vertretern möglich und gewachsen ist, verweigert sich der katholische Bischof wie schon sein Vorgänger gegenüber dem interreligiösen Dialog, obwohl die Katholiken heute die Mehrheit in Mostar bilden. Die orthodoxen Serben wiederum anerkennen nicht den Völkermord an den bosnischen Muslimen. Bei einem tief bewegenden Gespräch mit der Vorsitzenden der „Mütter von Srebrenica“, die selbst Mann und Sohn beim Genozid 1995 verloren hat, wurde deutlich, wie Versöhnung dennoch gelingen kann: Sie hege keinen Hass, sondern setzt sich ein für die Erinnerung an die Ermordeten und die Völkerverständigung in einem Friedensdorf vor Ort. Doch die Politik wird, wie so oft, wo anders gemacht und ein aggressiver Nationalismus auf allen Seiten vergiftet weiter die Seelen.
Die Angst der Menschen auf dem Westbalkan vor einem neuen Krieg ist groß – zumal die Weltgemeinschaft wie die Europäische Gemeinschaft wieder einmal versagt und mit anderem beschäftigt ist. Dass die nationalistischen Parteien bei der jüngsten Wahl Anfang Oktober – außer im serbischen Teil – deutlich verloren haben, ist jedoch ein gutes Zeichen.