Pressemitteilungen
MFI Blog
Mahnwache gegen antimuslimischen Terror
MAHNWACHE, München 24.03.2019 – organisiert von Muslimrat München
Die Rede von Imam Dr. Benjamin Idriz
Vorsitzender des Münchner Forum für Islam
Wann und wo immer unschuldige Menschen sterben, aus blindem Hass von Menschen ohne Menschlichkeit ermordet, dann ist es, wie wenn die ganze Welt vernichtet wird. So lehrt es der Koran, und er unterscheidet dabei nicht zwischen Religionen oder Ethnien.
Die Trauer über die Opfer jenes schwarzen Tages in Neuseeland ist grenzenlos. In vielerlei Hinsicht. Das Leid der Opfer spüren wir über den ganzen Globus hinweg in unserer Seele. Wir bitten Gott, dass Er in seiner Barmherzigkeit, die erst recht grenzenlos ist, den Hinterbliebenen Kraft schenkt in ihrem Glauben und für ihr weiteres Leben! Wir bitten Ihn, die Verletzten zu heilen, Ihnen beizustehen, damit sie ihre körperlichen und ihre seelischen Wundern verschmerzen und verkraften können. Damit alle weiterleben können und trotz dieser Erfahrung weiter an den Frieden in der Welt und das Miteinander glauben können und dazu beitragen werden. Das kann nur Gott möglich machen.
Wir haben seit jenem schwarzen Tag neben dem Schmerz und der Trauer auch viel Gutes und Ermutigendes erlebt. Wir haben gesehen, wie das Land Neuseeland trauert. Wie eine Premierministerin tief bewegt öffentlich den Propheten Mohammed zitiert, wie die Regierung jenes westlichen Landes den dort lebenden Muslimen zuruft: „Ihr seid wir!“ Ohne Wenn und Aber.
Wie ein ganzes Land glaubwürdig zu verstehen gibt, dass es wirklich keinen Unterschied macht zwischen Angehörigen der Religionen. Durch eine überwältigende Welle glaubwürdiger, engagierter Zeichen, Bilder und Botschaften! Die beispiellose Liebe und Solidarität der Neuseeländer hat den Hass des Terrors besiegt. Danke Neuseeland!
Wir haben auch in München bewegende Zeichen der Solidarität erlebt. Am Tag nach dem Anschlag kam eine Frau, einfach eine Münchner Bürgerin, keine Muslima, in unsere Moschee, einfach nur um uns dort zu sagen, wie entsetzt sie ist, und dass sie mit uns fühlt. Wir haben von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth Shalom eine bewegende Stellungnahme erhalten, für die ich hier sehr herzlich danken möchte.
Für das alles sind wir enorm dankbar! Wir spüren aber dennoch noch einen weiteren Schmerz, über die Trauer hinaus. Wenn wir auf Neuseeland schauen, dann erleben wir leider wirklich, wie sehr weit weg dieses Land von dem unseren ist. Nicht nur geographisch. Buchstäblich am anderen Ende der Welt! Denn die Art der Trauer dort, die Glaubwürdigkeit der Botschaften von dort, erinnert uns schmerzlich daran, wie weit weg Europa, wie weit weg Deutschland, wie weit weg Bayern von diesem Miteinander der Menschen auf wirklicher Augenhöhe noch ist. Muslime wissen, was ich meine. Sie erleben es jeden Tag. Andere müssen sich bitte bewusst machen, wie nach den Anschlägen von Paris getrauert wurde – Deutschland war in tiefem, echtem Schock. Das Brandenburger Tor wurde beleuchtet, dort standen die Bundeskanzlerin mit Vertreterinnen und Vertretern aller Religionen zusammen. Wochenlang bestimmte das Geschehen die Medien. Doch diesmal geht es um muslimische Opfer. Um Menschen also, über die dieses Land noch immer allen Ernstes debattiert, ob ihre Religion zu diesem Land gehört.
Die Innenminister sowohl im Bund als auch in Bayern – deren Ämter für die Sicherheit aller, und ich betone: aller! zuständig sind –, sind der Meinung, dass das nicht der Fall ist! Warum nur können wir uns überhaupt nicht vorstellen, dass der bayerische Ministerpräsident zugesagt hätte – wenn er angefragt worden wäre –, zu uns hier auf den Max-Joseph-Platz zu kommen, um dieser Mahnwache entsprechendes Gewicht und entsprechende Aufmerksamkeit zu verleihen?
Dies hier ist nicht die rechte Zeit und nicht der Ort, um an all das zu erinnern, was Musliminnen und Muslime erleben – weil ein großer Teil dieses Landes bis hinauf in die Behörden und Regierungen ihnen zu verstehen geben, dass sie hier fremd sind und fremd bleiben sollen, damit sie irgendwann möglichst wieder weggehen. Aber vielleicht ist es eine rechte Zeit, dass Juden, Christen und andere auch diese Realitäten an sich heranlassen, sie sich bewusster machen, und dann noch engagierter dagegen eintreten.
Es ist auf jeden Fall der Ort und die Zeit, um einzufordern, dass wir, die wir im Rat der Religionen zusammenarbeiten, dass Sie alle, die Sie hier her gekommen sind, um an dieser Mahnwache teilzunehmen, dass wir die Kategorien nach „Muslimen oder nicht“, „Juden oder nicht“, „Christen oder nicht“, „Gläubige oder nicht“, nicht mehr verwenden, um Menschen Rechte zuzusprechen oder vorzuenthalten. Die Konflikte auf der Welt, sei es im Nahen Osten oder wo auch immer, dürfen wir in München nicht gegen unser Miteinander ausspielen. Was wir den anderen nicht zugestehen, dürfen wir auch nicht von anderen einfordern. Und was wir von anderen erwarten, müssen wir auch für andere einbringen. Der Islam fördert Freundschaft und nicht Feindschaft, das, was einem selbst lieb ist, auch für andere zu wünschen, den anderen nicht anzutun, was man nicht angetan bekommen möchte.
Gott fordert die Muslime dazu auf, die Botschaft des Friedens zu verbreiten und sich selbst ihrem Gegner gegenüber gerecht zu verhalten, um damit sein Herz zu erweichen und aus ihm einen Freund zu machen. Gott sagt:
وَلا تَسْتَوِي الْحَسَنَةُ وَلا السَّيِّئَةُ ادْفَعْ بِالَّتِي هِيَ أَحْسَنُ فَإِذَا الَّذِي بَيْنَكَ وَبَيْنَهُ عَدَاوَةٌ كَأَنَّهُ وَلِيٌّ حَمِيمٌ
„Und nimmer sind das Gute und das Böse gleich. Wehre das Böse in bester Art ab, und siehe da, der, zwischen dem und dir Feindschaft herrschte, wird wie ein treuer Freund sein.“ (41:34).
Wir werden Islamhass und Feindschaft nicht mit Vergeltung sondern mit mehr Offenheit, Liebe und Freundschaft besiegen.
Niemals dürfen wir Terror – egal ob er islamfeindlich daherkommt oder islammissbrauchend oder wie auch immer – niemals dürfen wir Terror als Brennstoff für noch mehr Hass, Konfrontation oder gar Gewalt verwenden. Niemals dürfen wir das Tun einzelner Menschen auf die Gesamtheit ihrer Religion oder Ethnie beziehen. So wie niemals der Islam und nicht „die“ Muslime verantwortlich sind für den Terror irregeleiteter Muslime, so sind niemals Christen, Neuseeländer, Australier oder „westliche Menschen“ für den Irrsinn des Terroristen verantwortlich, dessen Name hier nicht wiederholt werden soll. Wer so ein Denken propagiert, verstößt gegen den Geist des Islam, und ich glaube auch jeder anderen Religion. All denen müssen wir uns entgegenstellen.
Wir Muslime bezeichnen einen Terrorakt eines Christen nicht als „christlichen Terror“. Deswegen bitten wir alle Menschen guten Willen, vor allem Politiker und Medien, den Begriff „islamistischer Terror“ NICHT zu verwenden, einfach weil darin der Name unsere Religion steckt. Terror darf nicht im Zusammenhang mit einer Religion verwendet werden
Wir alle, Muslime, Juden, Christen oder säkulare Menschen, müssen gemeinsam Hass, Rassismus und Gewalt widerstehen. Und das können wir, mit Gottes Hilfe, wenn wir füreinander miteinander zusammenstehen.
Wenn wir das nicht schaffen, wie ehrlich wäre dann heute unsere Betroffenheit?
Wenn wir das nicht schaffen, dann sind wir es nicht wert, der Opfer zu gedenken.