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Freitagspredigt über die Eskalation des Nahost-Konflikts

13. Okt 2023 | Allgemein

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Islamische Gemeinde Penzberg e.V.
Imam Benjamin Idriz

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Münchner Forum für Islam e.V.
Imam Belmin Mehic

Freitagspredigt über die Eskalation des Nahost-Konflikts

Penzberg/München, Freitag, 13. Oktober 2023

Liebe Schwestern und Brüder,

es gibt menschliches Leid, das durch Naturkatastrophen verursacht wird – das wir dann nur gemeinsam und ungeteilt betrauern können und versuchen, zu helfen. Und es gibt Leid, das von Menschen verursacht wird. Dann dürfen wir nicht nur trauern, sondern müssen unsere Stimme erheben – ebenfalls gemeinsam und ungeteilt! Solches Leid erleben Menschen in dem Land, das die einen Palästina, die anderen Israel nennen, schon viel zu lange. Und wir erleben schon viel zu lange, dass dort das Leid der einen verurteilt und zum Leid der anderen geschwiegen wird.

Als Muslime stehen wir gerade in der Herausforderung eine Stimme der Vernunft zu sein, welche sich unmissverständlich für Gerechtigkeit zum Frieden aller Menschen einsetzt. Denn diese ist das Gebot des Korans:

„O ihr, die ihr glaubt, steht fest in Gerechtigkeit, wenn ihr vor Gott Zeugen seid, und nicht verführe euch Hass gegen manche Menschen zur Ungerechtigkeit. Seid gerecht! Das ist näher an der Gottesfurcht.“ (Koran/5:8)

Dieser Koranvers betont unmissverständlich: Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Emotionen, unsere Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, der Gerechtigkeit gegen andere im Weg stehen! Als gläubige Menschen sind wir dazu aufgerufen, uns gegen jegliche Gewalt, Mord und Gefangennahme von unschuldigen Menschen, von welcher Seite dies auch geschehen mag, klar und unmissverständlich zu positionieren. So wie wir als Muslime erwarten und dazu aufrufen, dass das Leid unserer Brüder und Schwestern in Palästina verurteilt wird, genauso müssen wir die Gewalt verurteilen, die jetzt gegen jüdische Menschen verübt wird.

Wir haben Berichte gehört und gesehen von unmenschlichen Grausamkeiten an Familien, Männern, Frauen und Kindern. Der Islam hat glasklare Regeln der Menschlichkeit aufgestellt, göttliche Gebote, die ausdrücklich auch im Kriegsfall zu gelten haben. Ohne wenn und aber.

Es ist nicht islamisch, Menschen in ihren Häusern zu überfallen, zu töten oder zu verschleppen. Wir wollen – gemeinsam mit allen Religionsgemeinschaften – jede Form der Gewalt, gleich von welcher Seite, verurteilen und fordern dazu auf, dass alles getan wird, um die Gewalt gegen unschuldige Menschen in dem Land, das uns und anderen heilig ist, sofort beendet wird. Wir fordern selbstverständlich dazu auf, dass auch jede Gewalt, jedes Unrecht, das palästinensische Männer, Frauen und Kinder unschuldig und schon so unerträglich lange erlitten haben und noch erleiden werden, gemeinsam und ungeteilt verurteilt wird!

Wie schwer ist es für viele von uns, die Familie, Freunde und Bekannte in Palästina und speziell in Gaza haben, jetzt die Nerven zu behalten! Immer weiter auszuhalten, dass so viele hier in unserer Umwelt zum Leid unserer Brüder und Schwestern schweigen und jede Kritik an der anderen Seite verteufeln als „Relativierung“ und sogar „Rechtfertigung von Terror“. So als gäbe es keinen Konflikt zweier Völker um ein Land, sondern Opfer nur auf der einen Seite und auf der anderen nur Terroristen und Antisemiten. Das ist nicht auszuhalten! Und doch müssen wir als gläubige, Gott-ergebene Muslime akzeptieren: Es ist Gott, der von uns verlangt, besonnen, vernünftig und menschlich zu reagieren. Immer und auch jetzt.

Jedes menschliche Leben, jedes Opfer ist zu wertvoll, um seinen Wert an der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Seite zu messen. Und nur, wenn nicht unterschieden wird nach Zugehörigkeit, nur wenn das Eintreten für Gerechtigkeit und Frieden gemeinsam und ungeteilt erfolgt, nur dann können all die Aufrufe, die wir jetzt hören, wirklich helfen, die Konflikte zu lösen, anstatt sie, genauso wie bisher, immer weiter zu befeuern. Für andere Religionen kann ich hier nicht sprechen. Doch der Islam, jedenfalls, verlangt dies von uns.

Das universelle Koranische Prinzip besagt :

„Und nimmer sind das Gute und das Böse gleich. Wehre (das Böse) in bester Art ab, und siehe da, der, zwischen dem und dir Feindschaft herrschte, wird wie ein treuer Freund sein.“ (Koran/41:34)

Auf gar keinen Fall und unter keinen Umständen darf zugelassen werden, dass Grausamkeit bejubelt wird, weder öffentlich noch insgeheim; dass Einzelne, Gruppen oder Institutionen hier in Deutschland beschimpft oder bedroht werden. Wir erleben das als Muslime, leider, Tag für Tag; wir als wahre Muslime werden das nicht gegen andere verüben.

Wir brauchen gerade jetzt nur solche Stimmen der Besonnenheit, welche sich objektiv für eine gerechte Beurteilung und den friedlichen Umgang zwischen den Konfliktparteien äußern. Als ein Beispiel erlaube ich mir, die Worte der Oberbürgermeisterin der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina, Benjamina Karic, zu diesem Konflikt zu zitieren: „Für mich ist es heuchlerisch, nur den Hamas-Angriff auf Israel zu verurteilen, nicht aber alles, was davor und danach geschah. Ich verurteile jeden Angriff, jeden Terrorakt, jede Tötung Unschuldiger. Ich verurteile die Tötung unschuldiger Zivilisten, darunter Kinder, Frauen, Schwache, ältere Menschen (…) Die Nachricht, dass Gaza derzeit ohne Wasser und Strom ist, hat mich emotional sehr erschüttert. Diejenigen von uns, die die Belagerung von Sarajevo überlebt haben, wissen, wie es sich anfühlt. Wir müssen menschlich sein und jedes unschuldige Opfer gleichermaßen verurteilen, sowohl in Israel als auch in Palästina.“

Liebe Schwestern und Brüder,

als Bürger und Bürgerinnen dieses Landes tragen wir Verantwortung dafür, das friedliche Miteinander in unserer Gesellschaft weiterhin zu bewahren. Die Etablierung des Friedens in unserer Gesellschaft, in Deutschland, sollte ein kollektiver Auftrag sein, wir sind alle dazu aufgefordert selbstbewusste Bürger zu sein, die Gerechtigkeit für alle als einen ihrer zentralen Werte sehen.

Deutschland hat im letzten Jahrhundert auf schreckliche Weise vorgemacht, was geschieht, wenn dies nicht gelingt… Alle, die heute in Deutschland leben, ob hier geboren oder nicht, müssen daraus ganz besondere Lehren ziehen. Das zeigen leider, in besorgniserregender Weise, auch die Ergebnisse der Wahlen am Sonntag. An tatsächlichen oder vermeintlichen Problemen des Landes werden gerade wieder „die anderen“ als verantwortlich ausgemacht. Das Thema „Migration“ wird in allen Umfragen als das Hauptproblem bezeichnet – also Menschen, die in ihrer Not geflohen sind und Schutz suchen! Sie, und damit auch wir als Muslime sind es, die heute an allem schuld sein sollen…

Auf allen Ebenen sollte jetzt die Vernunft über Emotionen, Dialog über Feindseligkeit und Menschlichkeit über Parteinahmen siegen. Was im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt, als gläubige Menschen, ist, Gott zu bitten, allen Konfliktbeteiligten Vernunft und Barmherzigkeit zu schenken, und alle dazu aufzurufen, kein Werkzeug der Zerstörung des menschlichen Lebens zu sein, im Sinne der Koranischen Aufforderung:

„Stürzt euch nicht mit eigener Hand ins Verderben. Und tut Gutes.“ (Koran/2:195)

Die gemeinsamen Werte müssen sich erheben gegen Kriege, Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, Feindseligkeit gegen Andersgläubige überhaupt, natürlich gegen Besatzung, Unterdrückung, Diskriminierung, Demütigung, dagegen, dass Menschenrechte vorenthalten werden und Kinder unter Unrecht und Gewalterfahrungen aufwachsen, Generation um Generation. Und sich einsetzen für Mitmenschlichkeit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Wohlstand, Freiheit und Frieden für alle. Nur der Friede ist heilig, und nur Gerechtigkeit unter den Völkern kann und wird zum Frieden führen.

Ich bitte den Barmherzigen Gott, dem Heiligen Land Frieden zu schenken und die Menschen vor weiteren schrecklichen Taten zu bewahren.

Ich bitte Dich, Barmherziger Gott, den Frieden und die Mitmenschlichkeit in unserem Land zu erhalten.

Darum bitte ich Dich Barmherziger Gott, unseren Auftrag als deine Friedensbotschafter haben wir nicht vergessen. Im Bewusstsein unserer menschlichen Verantwortung, dass jedes Leben zählt, das Du erschaffen hast! Leg uns die Worte in den Mund, der Menschenverachtung zu widersprechen! Gib uns die Kraft und den Mut jeglicher Ungerechtigkeit, Ausgrenzung und Gewalt jeglicher Art entgegenzutreten!

Lass Verstand und Versöhnung walten! Lass uns so leben, wie Du es vorgesehen hast: in Frieden mit uns und mit unserer Umwelt! Dein Frieden ist größer als wir begreifen können. Schaffe Deinem Frieden Raum, gib uns Deinen Frieden mit!

Amin!